Heidelberg, 12. Januar 2023 +++
H.-C. Noack: Wie kam es zu tierwohl.tv?
BvR: Die Idee von tierwohl.tv bewegt mich schon seit mehr als zehn Jahren. Diese hoch intransparenten Werbebotschaften und Aussagen beim Einkaufen – gerade bei Fleisch und bei Eiern. Es gibt einen unendlichen Dschungel von Marken und Siegeln, wie z. B. Bio-Logos, die eine vermeintlich bessere Qualität zeigen. Aber wenn man das runterbricht sieht man Haltungsformen, die nicht mehr zeitgemäß sind, schreckliche Tiertransporte und die bekannten Fleischskandale. Das sind nur einige Punkte, die deutlich machen, was alles im Argen liegt. Das hat mich bewegt. Ich habe mich dann mit dem Thema „tierwohl.tv“ beschäftigt und technisch machbare und finanzierbare Lösungen – wie mobile Telekom-Tarife für die Übertragung von der Weide – gesucht. Schließlich wollen wir etwas öffnen, was die Gesellschaft schon länger möchte: ein gut gehaltenes Nutztier und Produkte, die gut schmecken und nicht das billigste Stück Fleisch. Es geht um Transparenz.
H.-C. Noack: Und seit wann ist tierwohl.tv am Start?
BvR: Konkret wurde es vor vier Jahren. Bis wir dann alle technischen Herausforderungen gelöst hatten und wir live mit den ersten Landwirten sowie Händlern starteten war es 2019. Schließlich werden die Bilder alle live, stabil und ohne inhaltliche Eingriffe von der Weide, aus dem Stall direkt zum Händler gesendet. Der Kunde erhält damit einen unmittelbaren Einblick in die Haltungsbedingungen. Das ist unser gemeinsames Verständnis von Transparenz.
H.-C. Noack: Stört Sie die Nähe zum Tierwohl-Label oder ist dies kein Thema?
BvR: Weder stört sie noch hilft die Nähe. Die bekannte Kennzeichnung der Stallhaltungsformen kommt von der Qualität und Sicherheit GmbH (QS), der ehemaligen CMA. Das QS-Zeichen ist das einfachste Niveau von Fleisch. Es ist ein Label, das stark von den großen Discountern unterstützt wird. Die Haltungsformen, die dieser Haltungsform zugrunde liegt und von QS, genauer gesagt der QS-eigenen Initiative Tierwohl, definiert wurde, sind zu 80 % Haltungsform 1 und 2. Für mich ist das Tierquälerei. Diese Haltungsbedingen liegen deutlich unter denen, die Landwirte bei tierwohl.tv vorhalten. Strohschweine – also Tiere, die auf Stroh mit Frischluft und Auslauf gehalten werden – übertreffen diese Tierwohl-Labels sehr deutlich. Das gilt auch für all die anderen Züchter und Bauern mit ihren Hühnern und Rindern, die sich für tierwohl.tv entschieden haben. Es ist gut, dass jemand überhaupt Haltungsformen definiert. Aber einer unserer ersten Landwirte, Willi Steffens vom Pötterhof auf Brüggen-Bracht, hat nach eigener Definition die Haltungsform 10 (lacht). Er ist selbst vor einiger Zeit aus der Initiative Tierwohl ausgetreten, weil er sagt, ich habe einen wesentlich höheren Anspruch. Solange seine Nutztiere leben will er sie verantwortungsvoll von A bis Z wie Tiere behandeln und nicht wie einen Kostenfaktor.
H.-C. Noack: Nun haben Aldi und Lidl angekündigt, auf Sicht aus den Haltungsformen 1 und 2 aussteigen? Gibt es eine Trendwende?
BvR: Aldi bezeichnet sich als größten Biohändler in Deutschland, was natürlich viel EU-Bio und Ware ist, die von noch weiter her kommt. Das sind nicht alles Produkte, die nach dem deutschen Bioland-, Naturland oder Demeter-Kriterien erzeugt werden. Aldi hat einen guten Schachzug gemacht und glaubt fest daran. Aber die großen Discounter können systemtechnisch eines nicht: Echte Regionalität. Das ist meist ein Profilierungssegment der regionalen Händler und Metzgereien. Aldi hat zumindest kommunikativ zum Überholen angesetzt. Ob sie das mit Herrn Tönnies erreichen, der einer der Hauptlieferanten ist, ist zumindest fraglich. Lidl hat vor zwei Jahren Bioland eingeführt. Aber das stößt bei vielen Bioland-Mitgliedern nicht unbedingt auf Begeisterung, die ein Verwässerung der Qualität befürchten.
H.-C. Noack: Tierwohl-, Faitrade-, Regionalfenster- Bio-Label und Co.: Der Verbraucher blickt nicht mehr durch. Wie kann sich die angebotene Qualität der an tierwohl.tv angeschlossenen Partner in die verschiedene Siegelwelt einreihen?
BvR: Sicher so unterschiedlich wie unsere Landwirte. Wir wollen diese nicht in eine Kategorie einordnen. Aber ich habe schon mehrmals in Gesprächskreisen gehört, dass Händler von einer „tierwohl.tv“-Qualität sprechen. Das heißt, für die Händler wird das als eine besonders gute Qualität wahrgenommen. Und wir sind häufig auf jedem Hof und überprüfen, dass das, was der Kunde im Laden sieht dem Durchschnitt der Haltung von Hühnern, Schweinen und Rindern auf dem jeweiligen Hof entspricht. Wir kennen die Landwirte und ihre Familien persönlich. Wir stellen zudem fest, dass die Ställe nach dem Start weiter Stück für Stück artgerechter werden. Das zeigt uns: Wenn investiert wird, dann rechnet sich das ganze Projekt. Und das gilt nicht nur für das Tier!
H.-C. Noack: Sie bieten den Landwirten eine Bühne …
BvR: Ja, und diese Bühne wird genutzt. Wir schenken ihm die Aufmerksamkeit der Verbraucher. Über die Bildschirme an den Regalen und Theken des Handels kann er sich gegenüber der anonymen Ware ringsherum positionieren. Der Landwirt hat neue Entwicklungschancen, einen regionalen, werthaltigen Absatz und steckt einen Teil der Einnahmen in die Weiterentwicklung der Ställe und Aufzucht. Das ist ganz im Sinne von uns. Das ist auch kein Greenwashing, sondern bedeutet eine Entwicklungschance für den Erzeuger und seine Tiere. Zudem profitieren der Händler und letztlich natürlich auch der Verbraucher. Es geht auch darum, dass die Kunden, wenn sie die Livebilder, z. B. die der Strohschweine auf dem Bildschirm an der Theke sehen, mit dem Fachmitarbeiter ins Gespräch kommen und mehr über deren Haltung erfahren. Der Kunde kann sich so seine eigenen Gedanken machen, wie er sich ernähren will und welche Folgen das für die Tiere haben wird.
H.-C. Noack: Welche weiteren Folgen hat der Erzeuger?
BvR: Der Landwirt erweitert seinen Absatz. Er erzielt höhere Preise. Eines der fairsten Verfahren bei der Preisbildung ist es meiner Meinung nach, wenn man sich zum Beispiel beim Spotpreis Schwein orientiert und eine Range oben daraufsetzt. Das liegt bei den Schweinen mindestens 50 bis 70 Cent mehr pro Kilo bei einem konventionell gehaltenen Strohschwein gemessen an der Haltungsform 1 bei der QS-Einordung. Bei Bio ist es noch deutlich höher. Das führt beim Bauern zu mehr Ertrag und zu größeren Investitionen in die Ställe und die Nutztierhaltung.
H.-C. Noack: Was gewinnt der Händler außer einem besseren Ruf?
BvR: Finanziell lohnt sich das für jeden der teilnehmenden Händler. Nicht zu vergessen den Imagefaktor. Denn ein guter regionaler Händler hat Geschäftsbeziehungen mit bis zu 100 Erzeugern. Wenn dann der eine oder andere durch Live-Übertragung auf Bildschirmen im Markt derart hervorgehoben wird, dann strahlt das auf sein gesamtes Sortiment aus. Er entspricht auch der Erwartung der Verbraucher, die zu 78 % eine Landwirtschaft erwarten, die sich am Tierwohl orientiert, wie die aktuelle Ernährungsstudie des Bundesministeriums für Ernährung und Landwirtschaft (BMEL) für 2021 zeigt. Seit Jahren übrigens ein signifikant zunehmender Wert. Da die auf tierwohl.tv gezeigten besseren Produkte i.d.R höhere Verkaufspreise und damit eine höhere Spanne für den Händler aufweisen, rechnet sich das wirtschaftlich. Weiterhin hilft es ihm bei der Argumentation gegenüber anderen Erzeugern, ebenfalls eine höhere Qualität zu liefern. Der Händler hat also einen finanziellen Nutzen und er kann gegenüber anderen Lieferanten mittelfristig einen besseren Standard durchsetzen.
H.-C. Noack: Kann man das beziffern?
BvR: Es laufen zur Zeit Studien, um die Wirkungsmechanismen zu erfassen. Wir bekommen zum Beispiel von angeschlossenen Erzeugern gespiegelt, dass der zusätzliche Mengeneffekt bei 20 bis 50 % mehr von dieser besseren Qualität bei Eiern liegt. Und beim Händler kann beobachtet werden, dass bei einem Monitor über dem Eierregal der Absatz steigt, was auch für Neukundengewinn spricht. Denn das Gewissen kauft ja mit.
H.-C. Noack: Ist Bio immer am Tierwohl orientiert?
BvR: Das stimmt so nicht. Es gibt auch bei Bio große Betriebe, wo das Tier eine Nummer, ein Kostenfaktor ist. Es werden die Bio-Kriterien je nach Zertifizierer erfüllt, aber trotzdem ist es nicht unbedingt Tierwohl. Andere Verbände, wie Neuland, stellen das Tierwohl an erster Stelle, aber nicht Bio. Es muss also nicht immer Bio sein. Gewinner ist dabei der Verbraucher, der, wenn er sich an einen hohen Tierwohlstandard orientiert, ein anderes Geschmackserlebnis bekommt.
H.-C. Noack: Nun aber zu einem entscheidenden Thema: was kostet es den Bauern und den Händler, wenn es sich für tierwohl.tv entschließt?
BvR: Inklusive Montage muss ein Landwirt mit Einmalkosten von rund 3.500 Euro für eine Hofkamera oder rund 5.000 Euro für zwei Kameras kalkulieren, die wind- und wetterfest montiert werden und wartungsfrei sind. Dazu kommen pro Kamera Uploadgebühren von 50 Euro pro Monat, egal in wie viele Märkte gesendet wird.
H.-C. Noack: Und bei den Märkten?
BvR: Da fallen die Initialkosten für die Bildschirme und die Montage durch ortansässige Installateure an. Hinzu kommen Downstream-Kosten je Livekanal von monatlich rund 10 Euro. Wenn der Kunde nicht nur an der Theke die Tiere beobachten will, kann er sich die kostenfreie tierwohl.tv-App aufs Smartphone laden und die Tierbeobachtung zu Hause fortsetzen.
H.-C. Noack: Gibt es eine tierwohl.tv-Community?
BvR: Wir profitieren aktuell sehr stark von den Mund-zu-Mund-Empfehlungen der Händler und Erzeuger. Daher entstehen zurzeit regionale Cluster in Deutschland, wie sie auf unserer App sehen können. Da findet man auch alle teilnehmenden Märkte und Höfe. Hier vernetzen sich zunehmend nicht nur Händler mit Landwirten, sondern auch tierwohl.tv-Landwirte untereinander. Nach dem Motto: „Wie machst Du das?“ und „wie kann ich das besser machen?“. Ich sehe gute Chancen, dass wir künftig über die App, die Webseite und unseren Instagram-Kanal durchaus eine Community für tierwohl.tv aufbauen können.
Herr Berens von Rautenfeld, ich danke Ihnen für dieses Gespräch.
Hans-Christoph Noack, Wirtschaftspublizist
Weitere Informationen auf www.tierwohl.tv.
Weitere Informationen:
Blue Lava GmbH
Forum 7
69126 Heidelberg
info@tierwohl.tv
www.tierwohl.tv
Sandy Heinzmann
Leitung Presse- und Öffentlichkeitsarbeit
T. +49 6221 40508-682
E. sandy.heinzmann@online-software-ag.de
Jürgen Berens von Rautenfeld im Interview
mit Hans-Christoph Noack, Wirtschaftspublizist
Heidelberg, 12. Januar 2023 +++
H.-C. Noack: Wie kam es zu tierwohl.tv?
BvR: Die Idee von tierwohl.tv bewegt mich schon seit mehr als zehn Jahren. Diese hoch intransparenten Werbebotschaften und Aussagen beim Einkaufen – gerade bei Fleisch und bei Eiern. Es gibt einen unendlichen Dschungel von Marken und Siegeln, wie z. B. Bio-Logos, die eine vermeintlich bessere Qualität zeigen. Aber wenn man das runterbricht sieht man Haltungsformen, die nicht mehr zeitgemäß sind, schreckliche Tiertransporte und die bekannten Fleischskandale. Das sind nur einige Punkte, die deutlich machen, was alles im Argen liegt. Das hat mich bewegt. Ich habe mich dann mit dem Thema „tierwohl.tv“ beschäftigt und technisch machbare und finanzierbare Lösungen – wie mobile Telekom-Tarife für die Übertragung von der Weide – gesucht. Schließlich wollen wir etwas öffnen, was die Gesellschaft schon länger möchte: ein gut gehaltenes Nutztier und Produkte, die gut schmecken und nicht das billigste Stück Fleisch. Es geht um Transparenz.
H.-C. Noack: Und seit wann ist tierwohl.tv am Start?
BvR: Konkret wurde es vor vier Jahren. Bis wir dann alle technischen Herausforderungen gelöst hatten und wir live mit den ersten Landwirten sowie Händlern starteten war es 2019. Schließlich werden die Bilder alle live, stabil und ohne inhaltliche Eingriffe von der Weide, aus dem Stall direkt zum Händler gesendet. Der Kunde erhält damit einen unmittelbaren Einblick in die Haltungsbedingungen. Das ist unser gemeinsames Verständnis von Transparenz.
H.-C. Noack: Stört Sie die Nähe zum Tierwohl-Label oder ist dies kein Thema?
BvR: Weder stört sie noch hilft die Nähe. Die bekannte Kennzeichnung der Stallhaltungsformen kommt von der Qualität und Sicherheit GmbH (QS), der ehemaligen CMA. Das QS-Zeichen ist das einfachste Niveau von Fleisch. Es ist ein Label, das stark von den großen Discountern unterstützt wird. Die Haltungsformen, die dieser Haltungsform zugrunde liegt und von QS, genauer gesagt der QS-eigenen Initiative Tierwohl, definiert wurde, sind zu 80 % Haltungsform 1 und 2. Für mich ist das Tierquälerei. Diese Haltungsbedingen liegen deutlich unter denen, die Landwirte bei tierwohl.tv vorhalten. Strohschweine – also Tiere, die auf Stroh mit Frischluft und Auslauf gehalten werden – übertreffen diese Tierwohl-Labels sehr deutlich. Das gilt auch für all die anderen Züchter und Bauern mit ihren Hühnern und Rindern, die sich für tierwohl.tv entschieden haben. Es ist gut, dass jemand überhaupt Haltungsformen definiert. Aber einer unserer ersten Landwirte, Willi Steffens vom Pötterhof auf Brüggen-Bracht, hat nach eigener Definition die Haltungsform 10 (lacht). Er ist selbst vor einiger Zeit aus der Initiative Tierwohl ausgetreten, weil er sagt, ich habe einen wesentlich höheren Anspruch. Solange seine Nutztiere leben will er sie verantwortungsvoll von A bis Z wie Tiere behandeln und nicht wie einen Kostenfaktor.
H.-C. Noack: Nun haben Aldi und Lidl angekündigt, auf Sicht aus den Haltungsformen 1 und 2 aussteigen? Gibt es eine Trendwende?
BvR: Aldi bezeichnet sich als größten Biohändler in Deutschland, was natürlich viel EU-Bio und Ware ist, die von noch weiter her kommt. Das sind nicht alles Produkte, die nach dem deutschen Bioland-, Naturland oder Demeter-Kriterien erzeugt werden. Aldi hat einen guten Schachzug gemacht und glaubt fest daran. Aber die großen Discounter können systemtechnisch eines nicht: Echte Regionalität. Das ist meist ein Profilierungssegment der regionalen Händler und Metzgereien. Aldi hat zumindest kommunikativ zum Überholen angesetzt. Ob sie das mit Herrn Tönnies erreichen, der einer der Hauptlieferanten ist, ist zumindest fraglich. Lidl hat vor zwei Jahren Bioland eingeführt. Aber das stößt bei vielen Bioland-Mitgliedern nicht unbedingt auf Begeisterung, die ein Verwässerung der Qualität befürchten.
H.-C. Noack: Tierwohl-, Faitrade-, Regionalfenster- Bio-Label und Co.: Der Verbraucher blickt nicht mehr durch. Wie kann sich die angebotene Qualität der an tierwohl.tv angeschlossenen Partner in die verschiedene Siegelwelt einreihen?
BvR: Sicher so unterschiedlich wie unsere Landwirte. Wir wollen diese nicht in eine Kategorie einordnen. Aber ich habe schon mehrmals in Gesprächskreisen gehört, dass Händler von einer „tierwohl.tv“-Qualität sprechen. Das heißt, für die Händler wird das als eine besonders gute Qualität wahrgenommen. Und wir sind häufig auf jedem Hof und überprüfen, dass das, was der Kunde im Laden sieht dem Durchschnitt der Haltung von Hühnern, Schweinen und Rindern auf dem jeweiligen Hof entspricht. Wir kennen die Landwirte und ihre Familien persönlich. Wir stellen zudem fest, dass die Ställe nach dem Start weiter Stück für Stück artgerechter werden. Das zeigt uns: Wenn investiert wird, dann rechnet sich das ganze Projekt. Und das gilt nicht nur für das Tier!
H.-C. Noack: Sie bieten den Landwirten eine Bühne …
BvR: Ja, und diese Bühne wird genutzt. Wir schenken ihm die Aufmerksamkeit der Verbraucher. Über die Bildschirme an den Regalen und Theken des Handels kann er sich gegenüber der anonymen Ware ringsherum positionieren. Der Landwirt hat neue Entwicklungschancen, einen regionalen, werthaltigen Absatz und steckt einen Teil der Einnahmen in die Weiterentwicklung der Ställe und Aufzucht. Das ist ganz im Sinne von uns. Das ist auch kein Greenwashing, sondern bedeutet eine Entwicklungschance für den Erzeuger und seine Tiere. Zudem profitieren der Händler und letztlich natürlich auch der Verbraucher. Es geht auch darum, dass die Kunden, wenn sie die Livebilder, z. B. die der Strohschweine auf dem Bildschirm an der Theke sehen, mit dem Fachmitarbeiter ins Gespräch kommen und mehr über deren Haltung erfahren. Der Kunde kann sich so seine eigenen Gedanken machen, wie er sich ernähren will und welche Folgen das für die Tiere haben wird.
H.-C. Noack: Welche weiteren Folgen hat der Erzeuger?
BvR: Der Landwirt erweitert seinen Absatz. Er erzielt höhere Preise. Eines der fairsten Verfahren bei der Preisbildung ist es meiner Meinung nach, wenn man sich zum Beispiel beim Spotpreis Schwein orientiert und eine Range oben daraufsetzt. Das liegt bei den Schweinen mindestens 50 bis 70 Cent mehr pro Kilo bei einem konventionell gehaltenen Strohschwein gemessen an der Haltungsform 1 bei der QS-Einordung. Bei Bio ist es noch deutlich höher. Das führt beim Bauern zu mehr Ertrag und zu größeren Investitionen in die Ställe und die Nutztierhaltung.
H.-C. Noack: Was gewinnt der Händler außer einem besseren Ruf?
BvR: Finanziell lohnt sich das für jeden der teilnehmenden Händler. Nicht zu vergessen den Imagefaktor. Denn ein guter regionaler Händler hat Geschäftsbeziehungen mit bis zu 100 Erzeugern. Wenn dann der eine oder andere durch Live-Übertragung auf Bildschirmen im Markt derart hervorgehoben wird, dann strahlt das auf sein gesamtes Sortiment aus. Er entspricht auch der Erwartung der Verbraucher, die zu 78 % eine Landwirtschaft erwarten, die sich am Tierwohl orientiert, wie die aktuelle Ernährungsstudie des Bundesministeriums für Ernährung und Landwirtschaft (BMEL) für 2021 zeigt. Seit Jahren übrigens ein signifikant zunehmender Wert. Da die auf tierwohl.tv gezeigten besseren Produkte i.d.R höhere Verkaufspreise und damit eine höhere Spanne für den Händler aufweisen, rechnet sich das wirtschaftlich. Weiterhin hilft es ihm bei der Argumentation gegenüber anderen Erzeugern, ebenfalls eine höhere Qualität zu liefern. Der Händler hat also einen finanziellen Nutzen und er kann gegenüber anderen Lieferanten mittelfristig einen besseren Standard durchsetzen.
H.-C. Noack: Kann man das beziffern?
BvR: Es laufen zur Zeit Studien, um die Wirkungsmechanismen zu erfassen. Wir bekommen zum Beispiel von angeschlossenen Erzeugern gespiegelt, dass der zusätzliche Mengeneffekt bei 20 bis 50 % mehr von dieser besseren Qualität bei Eiern liegt. Und beim Händler kann beobachtet werden, dass bei einem Monitor über dem Eierregal der Absatz steigt, was auch für Neukundengewinn spricht. Denn das Gewissen kauft ja mit.
H.-C. Noack: Ist Bio immer am Tierwohl orientiert?
BvR: Das stimmt so nicht. Es gibt auch bei Bio große Betriebe, wo das Tier eine Nummer, ein Kostenfaktor ist. Es werden die Bio-Kriterien je nach Zertifizierer erfüllt, aber trotzdem ist es nicht unbedingt Tierwohl. Andere Verbände, wie Neuland, stellen das Tierwohl an erster Stelle, aber nicht Bio. Es muss also nicht immer Bio sein. Gewinner ist dabei der Verbraucher, der, wenn er sich an einen hohen Tierwohlstandard orientiert, ein anderes Geschmackserlebnis bekommt.
H.-C. Noack: Nun aber zu einem entscheidenden Thema: was kostet es den Bauern und den Händler, wenn es sich für tierwohl.tv entschließt?
BvR: Inklusive Montage muss ein Landwirt mit Einmalkosten von rund 3.500 Euro für eine Hofkamera oder rund 5.000 Euro für zwei Kameras kalkulieren, die wind- und wetterfest montiert werden und wartungsfrei sind. Dazu kommen pro Kamera Uploadgebühren von 50 Euro pro Monat, egal in wie viele Märkte gesendet wird.
H.-C. Noack: Und bei den Märkten?
BvR: Da fallen die Initialkosten für die Bildschirme und die Montage durch ortansässige Installateure an. Hinzu kommen Downstream-Kosten je Livekanal von monatlich rund 10 Euro. Wenn der Kunde nicht nur an der Theke die Tiere beobachten will, kann er sich die kostenfreie tierwohl.tv-App aufs Smartphone laden und die Tierbeobachtung zu Hause fortsetzen.
H.-C. Noack: Gibt es eine tierwohl.tv-Community?
BvR: Wir profitieren aktuell sehr stark von den Mund-zu-Mund-Empfehlungen der Händler und Erzeuger. Daher entstehen zurzeit regionale Cluster in Deutschland, wie sie auf unserer App sehen können. Da findet man auch alle teilnehmenden Märkte und Höfe. Hier vernetzen sich zunehmend nicht nur Händler mit Landwirten, sondern auch tierwohl.tv-Landwirte untereinander. Nach dem Motto: „Wie machst Du das?“ und „wie kann ich das besser machen?“. Ich sehe gute Chancen, dass wir künftig über die App, die Webseite und unseren Instagram-Kanal durchaus eine Community für tierwohl.tv aufbauen können.
Herr Berens von Rautenfeld, ich danke Ihnen für dieses Gespräch.
Hans-Christoph Noack, Wirtschaftspublizist
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Sandy Heinzmann
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